Tag 53: Meisenflugtag

Freitag 11.5.2012

Die Überschrift kommt erst abends zustande. Gerechnet hätte ich damit erst etwas später, denn ganz so vernünftig ist es nicht, ausgerechnet heute flügge zu werden. Die nächsten Nächte sollen kalt werden, die Eisheiligen lassen grüßen.

 

Aber der Reihe nach: Bereits um kurz vor sechs ist wieder munteres Treiben im Nistkasten.

Man hört das Flattern. Aber richtige Flugübungen kann eben ein einziges Junges machen, das obenauf sitzt.

Gefüttert wird weiterhin im Akkord. Erst sie, dann er mit den üblichen Bedenken, in meiner Gegenwart ins Nest einzufliegen, dann das Ganze noch einmal. Und wenn Kot im Nest ist, nimmt man den eben mit raus.

Im Inneren geht es ziemlich eng zu. Wenn ich mir vorstelle, alle acht Küken hätten überlebt, dann wäre das Gedränge schon ziemlich heftig. So kann man zumindest gelegentlich einträchtig nebeneinander sitzen, sofern nicht sportliche Betätigung angesagt ist.

Die Zielrichtung zum Ausflugloch wird jetzt auch immer klarer. In früheren Jahren habe ich das schon ausgeprägter erlebt. Da haben sich die Eltern bei der Fütterung das Einfliegen meist schenken können, die Jungen kamen am Loch entgegen und nahmen das Futter ab. Jedenfalls sieht es lustig aus und erinnert mich ein wenig an Kaspertheater.

Innen wird es auch immer lauter. Die Kleinen haben stimmlich zugelegt, das werden sie in den nächsten Tagen auch brauchen, um nach dem Ausfliegen die Eltern zur Fütterung zu rufen.

In der Küche höre ich meine Frau von der Terrasse rufen: "Komm schnell!"

 

Die Kamera liegt bereit und fängt das ein, mit dem ich  heute nicht gerechnet hätte. In den letzten Jahren war der Abflug immer schon in den frühen Morgenstunden begonnen worden. Diesmal lässt man sich bis Mittag Zeit.

 

Ganz erstaunlich auch die Flugleistung dieses Kleinen: Die Stelle, wo er sitzt, ist etwa 2,5 Meter vom Flugloch entfernt und 75 Zentimeter höher. Das war also ein ganz ordentlicher Steigflug, den er da hingelegt hat!

Auf den nächsten Jungfernflug sind wir vorbereitet und können genüsslich zuschauen, wie Nummer zwei nach mehrfachem Zögern endlich den Lockrufen der Eltern folgt, den ganzen Körper durchs Loch zwängt und abschwirrt. Nach Zwischenlandung auf dem Olivenbaum, wo er noch Besuch von Mutti bekommt, folgt der erste größere Flug in die Welt.

Ich folge nach unten vors Haus. Gegenüber liegt der Schulgarten, ideales Rückzugsgebiet. Gelegentlich höre ich die Bettelrufe, aber sobald ich mich der Quelle nähere, ist es still. Sehr vernünftig, denn auch die Elstern hört man tschackern.

Ein Blick in den Nistkasten zeigt inzwischen nur noch ein einziges Junges. Ich mache mir etwas Sorgen, denn das Kleine scheint ziemlich apathisch zu sein. Was machen die Alten? Kümmern die sich ausschließlich um die vier bereits ausgeflogenen?

Dann scheint es dem Kleinen aber wieder etwas besser zu gehen, die Energie kehrt zurück und wird gleich zweckmäßig zur Gefiederpflege und Leibesübungen eingesetzt.

Von der Versorgung ist es auch nicht abgeschnitten, die Eltern können wohl zählen und denken sich: da war doch noch Eines. Ganz freundlich ist der Umgang aber nicht, es wird ziemlich ruppig umgegangen.

Fünf Stunden nach dem Ersten schaft es dann auch der letzte Mohikaner. Nach Landung auf dem Ginkgo rummst er zwar erst an die Scheibe. Nach kurzer Erholpause auf dem Tomatentopf nimmt er alle Kraft zusammen um wieder auf dem Ginko zu landen, nach erneutem Steigflug die Pergola zu erreichen und dann in Richtung zu den Geschwistern zu verschwinden.

Danach sieht es im Nest so aus wie vor genau vierzig Tagen. Leer.

Wieder leer
Wieder leer

Vorhin kam noch einmal Herr Meise auf unseren Olivenbaum mit einer fetten Made im Schnabel. Tja, ab sofort gilt es, die Jungen suchen zum Füttern. Das war bisher einfacher.

 

Mir bleibt nur noch, viel Glück zu wünschen. Vielleicht ist ja irgendwann eines der Jungen zu Gast in unserem Nistkasten oder es gibt dieses Jahr noch eine zweite Brut. Und hoffentlich erwischt mich das Empty-Nest-Syndrom nicht zu sehr. Morgen früh werde ich jedenfalls mal richtig ausschlafen.