Kornwestheimer Zeitung, 17.10.2012
Der Graureiher ist genervt. Dort wo sonst leckere Mäuse im Gras herumspringen, steht eine Gruppe von Menschen - als hätten diese nichts Besseres zu tun, als sein Mittagessen zu vertreiben. 'Den Graureiher sah man vor 40 Jahren kaum in dieser Gegend', erklärt der Diplombiologe Peter Endl seinen Zuhörern, die gespannt auf den über ihnen kreisenden Vogel blicken. Doch der Flieger muss sich noch gedulden bis wieder Ruhe einkehrt im Naturparadies Steingrube. Der jährliche Rundgang, den die Stadt Kornwestheim zusammen mit der Ortsgruppe des Naturschutzbunds am Sonntagmittag beim Reit- und Fahrverein startet, ist erst an der ersten Station angelangt.
Bei den in den vergangenen Monaten angelegten Trockenmauern hofft Peter Endl wenigstens eine Zauneidechse zu finden, die er dem Publikum zeigen kann. 'Elf Exemplare dieser geschützten Tierart
wurden von den Gleisanlagen im Gewerbegebiet Nord hierher umgesiedelt', berichtet er. Die günstigen Bedingungen in den Trockenmaueranlagen fasst er so zusammen: 'Die Tiere finden in der
offenen
Wand Spalten zum Verstecken. Nahrung gibt's in der dahinter liegenden Wiese. Und ihren Sonnenplatz können die wechselwarmen Tiere, die Wärme brauchen um gesund zu bleiben, auch auf der Kante des
Mäuerchens genießen.' Neben den Zauneidechsen wurden auch elf Blindschleichen und eine Mauereidechse
umgesiedelt. 'Ist es für die Mauereidechse da nicht arg einsam?' fragt eine Spaziergängerin besorgt. 'Vielleicht sind es ja auch mehr', antwortet Christine Hartkorn von der Umweltberatung der
Stadt lachend.
Sie weist darauf hin, dass nach dem Kauf des 16 Hektar großen Grundstücks 2005 Gutachter Peter Endl mit seinem Landschaftsarchitekten-Team der Werkgruppe Grün im Auftrag der Stadt den Tierund
Pflanzenbestand ermittelt hat. Bei der bald wieder anstehenden Erhebung erwartet Hartkorn eine deutlich höhere Zahl an Lebewesen: 'Wir sehen hier jetzt häufig seltene Vögel, Schmetterlinge
und
auch Fledermäuse. Die gab es früher kaum.' Während die Spaziergänger weiter gehen Richtung Streuobstwiese, deutet Hartkorn auf einen toten Baumstumpf: 'Wenn Sie jetzt denken, dass die Stadt hier
alte Bäume rumstehen lässt, kann ich Sie beruhigen: Die Hohlbäume bieten Insekten und Vögeln wertvolle Lebensräume.' So nutzt der Steinkauz gerne einen ausgedienten Apfelbaum, um es sich in
seinem Stamm gemütlich zu machen. Jagdpächter Hans-Otto Härle, der sich der Tour durch sein Gebiet angeschlossen hatte, beobachtete auch andere Neueinwohner von seinem Ansitz aus: 'Sechs
ausgewachsene Schleiereulen waren so beschäftigt mit dem Mäusefangen, dass sie mich gar nicht bemerkten.'
Dass auch die Pflanzenwelt von den Pflegemaßnahmen in der Steingrube profitiert, demonstriert Endl an der zweiten Station: 'Diese Wiesenfläche wird nicht tot gemäht und nicht tot gedüngt. Dadurch
wachsen hier 50 bis 60 Pflanzenarten, statt den sonst auf Feldwiesen üblichen 20.' Während die Gruppe an den Apfelbäumen vorbeizieht, wundert sich ein Teilnehmer: 'In meinem Obstgarten fressen
die Vögel alle Früchte weg. Aber hier hängt ja noch alles voller Äpfel.' In der Steingrube locken die leckeren Früchte dafür andere ungebetene Besucher: 'Die Menschen kommen mit Stecken und
schütteln Nüsse und Äpfel herunter', bestätigt Hans-Otto Härle. Eine organisierte Ernte, die nicht zerbrochene
Äste und Fallobst zur Folge habe, sei daher in Planung, kündigte Christine Hartkorn an.
Als die Spaziergänger den Weg zu den oberen Hängen erklimmen, zeigt die Umweltberaterin ihren Lieblingsbaum: 'Die Weichselkirsche ist so alt, dass wir uns überlegt hatten, sie als Naturdenkmal
auszuweisen.'
Leider stellen Experten einen Pilzbefall fest, so dass die Stadt nun auf der Suche nach einem neuen Bäumchen dieser Art ist. Die sechs bis neun Eichengruppen, die in den nächsten Wochen oberhalb
der Kuppel des Reit- und Fahrvereins gepflanzt werden, bieten unterdessen Rückzugsmöglichkeiten für die verschiedensten Tierarten. 'Das Positive an der Strategie der Stadt ist, dass sie nicht nur
viel Geld in Maßnahmen steckt - sondern auch in die Pflege', lobt Gutachter Peter Endl.
Beim Rückweg bewunderten die Spaziergänger die Wildkräuterwiese, die vor einigen Jahren fast nur mit Brennnesseln bewachsen war. Den geplanten Ausbau eines Heckenwinkels erklärt der Biologe mit
der besonderen Bedeutung der Büsche als Lebensraum für den Goldammer und die Dorngrasmücke: 'In den kleinen Ästen finden sie einen sicheren Platz für ihre Nester.' Beim Reit- und Fahrverein kam
die Sonntagstruppe schließlich zur letzten Station. 'Aussiedlerhöfe mit Scheunen werden immer seltener', bedauert Endl. 'Deshalb sind wir froh über die offenen Pferdestallungen, die für Rauch-
und Mehlschwalben, aber auch den Haussperling Winkel und Ecken sowie Getreidekörner bieten.' Am Ende bleibt die Frage nach dem Schutz des grünen Paradieses: 'Spaziergänger und Reiter, die
querfeldein laufen, aber seit neustem auch Hobby-Modellflugzeugpiloten stören immer wieder den Frieden der
Pflanzen und Tiere', klagt Christine Hartkorn. Auch Jäger Hans-Otto Härle stößt mit seinen freundlichen Hinweisen bei vielen Hundehaltern auf wenig Verständnis. Dabei könne das Gassi gehen ohne
Leine zumindest für den Bewohner mit den großen Lauschern fatale Folgen haben 'Wenn der Hase mehr als drei-, viermal gehetzt oder gestört wird, wandert er ab.'